Zum vorsatzgleichen Verschulden wegen unzureichender Vorkühlung eines LKWs für Kühltransporte

OLG München, Urteil vom 29.07.2010 – 23 U 4922/09

Die unzureichende Vorkühlung eines LKWs berechtigt jedenfalls dann zur Annahme eines vorsatzgleichen Verschuldens, wenn das Frachtgut für die Anwendung bei Menschen bestimmte, besonders kühlempfindliche Arzneimittel sind und überdies hohe Außentemperaturen herrschen.

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Traunsteins vom 11.09.2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte, als Frachtführerin, wegen der Beschädigung von Impfstoff infolge unzureichender Kühlung in Anspruch.

Mit Transportvertrag vom 18.08.2003 (Anlage K 1) beauftragte die A. GmbH & Co. KG, Salzburg, die Spedition W. Transport GmbH mit der Verbringung von Impfstoffen (Humanmedizin) von Frankreich und Belgien nach P. bei Salzburg. Die W. GmbH gab den Auftrag an die Klägerin weiter, diese an die Beklagte; auf den Frachtbrief, Anlage K 2, aus dem sich ergibt, dass es sich bei dem Transportgut um Medikamente handelt, die in einem Temperaturbereich von + 2 Grad bis + 8 Grad zu halten sind, wird Bezug genommen. Der Transport erfolgte in der Zeit vom 26.08.2003, ca. 16.00 Uhr, bis 28.08.2003, ca. 13.00 Uhr. Unstreitig kam es in diesem Zeitraum zu mehrfachen Überschreitungen der einzuhaltenden Höchsttemperatur: Hierzu wird insbesondere auf Anlage K 4 hingewiesen.

Die weiteren Einzelheiten ergeben sich aus dem ausführlichen Tatbestand des Ersturteiles (§ 540 Abs. 1 ZPO).

Das Landgericht hat der Klägerin von den ursprünglich beantragten € 27.453,26 einen Betrag von € 18.917,94 (zuzüglich Zinsen) zugesprochen und ihr einen dementsprechenden Kostenanteil von 2/5 auferlegt. Dabei ging es vom Vorliegen eines vorsatzgleichen Verschuldens im Sinne von Art. 29 Abs. 1, 32 Abs. 1 Satz 2 CMR aus: Die Beklagte habe nicht nachweisen können, dass die Arzneimittel bereits vor Übernahme aufgeheizt bzw. unzureichend vorgekühlt gewesen seien. Das Gericht habe keine Zweifel daran, dass das der Ladung beigefügte Temperaturmessgerät – von dessen Existenz der Fahrer der Beklagten nichts wusste – ordnungsgemäß funktioniert habe. Zwar seien Fehler hinsichtlich Auswahl bzw. Instandhaltung des benutzten Kühl-Lkw’s nicht ersichtlich, jedoch habe die Beklagte sich hinsichtlich der Verwendung der Kühleinrichtung nicht gemäß Art. 18 Abs. 4 CMR entlasten können. Der Fahrer habe die Temperatur nicht ausreichend und regelmäßig kontrolliert, weshalb er den bedenklichen Temperaturanstieg nicht erkannt habe und Gegenmaßnahmen nicht möglich gewesen seien.

Beim Schaden des Transportgutes sei vom Rechnungspreis auszugehen: Einerseits könne die Beklagte sich nicht auf die Haftungshöchstgrenzen der CMR berufen (Art. 29 Abs. 1 CMR), andererseits ließe das hier ergänzend heranziehbare französische Recht den Ersatz weiterer Folgeschäden nicht zu.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Weder könne von der im Sinne von Art. 29 Abs. 1 CMR erforderlichen Leichtfertigkeit ausgegangen werden, noch liege Kausalität zwischen einem möglichen Fehlverhalten des Fahrers und dem eingetretenen Schaden vor.

Die Beklagte beantragt daher,

unter Aufhebung des Ersturteiles die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

In ihrer Berufungserwiderung vom 17.05.2010 verteidigt sie das Ersturteil und vertieft ihre Darstellung zum Vorliegen eines vorsatzgleichen Verschuldens. Die Beklagte habe weder Temperaturaufzeichnungen vorgenommen, noch eine Kontrolle auch in der Nacht durchgeführt. Angesichts der unzureichenden Vorsichtsmaßnahmen und Kontrollen müsse davon ausgegangen werden, dass die Beklagte mit dem Eintritt eines Schadens gerechnet habe, wobei es nicht allein auf den Fahrer ankomme.

II. Die zulässige Berufung erweist sich in der Sache als unbegründet.

Jedenfalls im Ergebnis bleiben die Angriffe der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ohne Erfolg:

Unter den gegebenen Umständen geht auch der Senat von einem vorsatzgleichen Verschulden im Sinne von Art. 29 CMR auf Beklagtenseite aus, mit der Folge, dass diese sich nicht auf die Haftungsbeschränkungen der Art. 17 – 28 CMR berufen kann und der Anspruch der Klägerin wegen Art. 32 Abs. 1 Satz 2 CMR auch nicht verjährt ist:

1. Der Senat teilt voll umfänglich die streitentscheidende Auffassung des Erstgerichts, wonach beim Fahrer der Beklagten ein vorsatzgleiches Verschulden vorgelegen hat, Art. 29 Abs. 2 CMR. Die insoweit beweisbelastete Klägerin (vgl. Thume-Harms, CMR, 2. Aufl., Art. 29 Rn. 84 ff.) hat den erforderlichen Nachweis erbracht.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Zeuge J. jedenfalls in der Nacht vom 26.08. auf 27.08.2003 keine regelmäßigen Temperaturkontrollen durchgeführt. Ausweislich der Temperaturaufzeichnungen (vgl. Anlage K 4), von deren Richtigkeit nach der Beweisaufnahme auszugehen ist, stieg die Temperatur der Medikamente in dieser Nacht auf bis zu 11,9 Grad Celsius (!). Dieser deutliche Temperaturanstieg (Anlage K 4) hätte dem Fahrer zwingend auffallen müssen. Angesichts der Aufzeichnungen einerseits und der Angaben des Zeugen J. andererseits sieht der Senat hier nicht etwa ein Augenblicksversagen, vielmehr ist der Bereich eines Handelns erreicht, das in dem Bewusststein erfolgt, es werde mit Wahrscheinlichkeit zu einem Schadeneintritt kommen – wenngleich vielleicht in der Hoffnung, die Temperaturerhöhungen blieben unentdeckt; letzteres insbesondere deshalb, weil der Fahrer unstreitig keine Kenntnis von dem innerhalb der Ware befindlichen Temperaturaufzeichnungsgerät hatte.

Die – eigentlich erstaunliche – Einlassung der Beklagten in der Berufungsbegründung, bei einem Temperaturanstieg hätte die Ladung ohnehin nicht gerettet werden können, weil eine Reparatur innerhalb kurzer Zeit nicht möglich gewesen wäre, ändert daran nichts. Überspitzt formuliert würde dies bedeuten, dass Temperaturkontrollen hier praktisch generell sinnlos wären, weil innerhalb der zum Schadenseintritt führenden – und, da es sich um empfindliche Medikamente handelt, sehr kurzen – Zeit ohnehin keine taugliche Handlungsmöglichkeit mehr besteht.

b) Dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu folgen: Vielmehr wäre es Sache der Beklagten gewesen, einerseits Kontrollen durchzuführen, andererseits aber – für den Fall einer Temperaturerhöhung – für geeignete Abhilfe zu sorgen, sei es durch Reparaturmöglichkeiten, sei es durch Verbringung der Ware in Kühleinrichtungen bzw. Kühlhäuser, wie sie senatsbekannt jedenfalls in weiten Teilen Europas durchaus vorhanden sind. Dabei ist hier insbesondere zu bedenken, dass es sich um Impfstoffe, noch dazu im Bereich der Humanmedizin, gehandelt hat und die Außentemperaturen nach Angaben der Zeugen in diesem Zeitraum äußerst hoch waren. Der Senat ist jedenfalls der Auffassung, dass die Beklagte, wenn sie keine Möglichkeit sah, auf einen Temperaturanstieg irgendwie sinnvoll zu reagieren, den entsprechenden Transport nicht hätte annehmen dürfen. Insofern entlastet sie die Argumentation mit der Kausalität nicht.

Zwar mag die Darstellung des Landgerichts etwas missverständlich erscheinen, wenn es meint, mechanische Mängel hätten beseitigt werden können bzw. selbst bei Ausfall der Kühlanlage sei ein Auftauschaden „nicht unabwendbar“ gewesen (Urteil, Seite 13/14); jedenfalls im Ergebnis ist die Wertung des Gerichts jedoch zutreffend.

2. Ohne Erfolg bleibt auch die – im Termin wiederholte – Argumentation der Beklagten, aufgrund der Hitzeempfindlichkeit der Impfstoffe und des Temperaturanstiegs im Zusammenhang mit der Beladung am 26.08.2003, ca. 16.00 Uhr, könne der Schaden bereits zu diesem Zeitpunkt eingetreten sein, weshalb es auf spätere Ereignisse allein nicht mehr ankommen könne. Das Landgericht hat sich in seinem sehr ausführlichen und auf einer umfangreichen Beweisaufnahme beruhenden Urteil auch mit dieser Frage befasst (Seite 13 unten/14 oben) und ist zu dem Ergebnis gekommen, der Anhänger sei beim Einladen noch nicht ausreichend auf die vorgegebene Temperatur heruntergekühlt gewesen. Angesichts der Temperaturangaben in Anlage K 4 und der entsprechenden Beweisaufnahme, insbesondere auch der Angaben des Sachverständigen K. im Termin vom 07.12.2007, Seite 5 oben, folgt der Senat dem ohne weiteres: Auszugehen ist davon, dass die Impfstoffe zuvor (CERP ROUEN) korrekt gekühlt waren, weshalb die Temperatur auch zunächst, also nach Einlegen des Messgerätes, etwas abfiel. Anschließend, nach dem Ladevorgang, stieg die Temperatur jedoch erstaunlich stark an. Auch der Senat ist der Ansicht, dass dies nur mit – zumal angesichts der Außentemperaturen – unzureichender Vorkühlung erklärt werden kann (siehe hierzu auch die Angaben der Zeugin D. im Termin vom 01.03.2007, Seite 2, die einerseits die ordnungsgemäßen Temperaturen im Lagerhaus bestätigte, andererseits die ohne weiteres nachvollziehbare Vermutung äußerte, der Lkw habe nicht die richtige Temperatur gehabt). Auch eine derart unzureichende Vorkühlung würde hier zur Annahme eines vorsatzgleichen Verschuldens führen, jedenfalls dann, wenn es um für die Anwendung bei Menschen bestimmte Arzneimittel geht, die besonders kühlempfindlich sind und wenn überdies hohe Außentemperaturen herrschen. Insoweit wiederholt sich hier die oben bereits festgestellte Gleichgültigkeit, die sich auch etwa darin zeigt, dass die Beklagte mit Anlage K 9 – ganz offensichtlich ins Blaue hinein – eine Garantie dafür abgab, die Temperaturen hätten nicht über fünf Grad gelegen.

Von der Wertung als vorsatzgleiches Verschulden/Leichtfertigkeit her ist der Fall den für ähnliche Sachverhalte genannten Beispielen aus der Rechtsprechung hierfür durchaus zu vergleichen (vgl. z.B. Harms, aaO, Art. 29 Rn. 8 ff., 18 ff., 54 f.).

3. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, es handelt sich um die Beurteilung eines Verschuldens in einem Einzelfalle.

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